Ich bin normalerweise kein Fan von solchen „Wir setzen eine Gruppe möglichst unterschiedlicher Menschen in ein kräfte- und nervenzehrendes Umfeld und schauen zu, wann die Bekloppten anfangen sich zu bekriegen“. Denn das ist es meistens, was den Reiz von Dauerbrennern wie „Big Brother“ und „Dschungel Camp“ ausmacht – Sensationen, Skandale, dreckige Geheimnisse, heftige Streits und Feindschaften.
Irgendwo scheint der Zuschauer einen unglaublichen Reiz darin zu finden, zuzusehen wie Menschen freiwillig ihre Privatsphäre komplett aufgeben und sich in der medialen Öffentlichkeit schamlos entkleiden – und das nicht nur metaphorisch.
Vor allem, und das ist das deprimierende, ziehen besonders „spezielle“ Charaktere die Zuschauer an. Und damit sind Menschen gemeint, die eben nicht wie du und ich sind, sondern bestenfalls einige Intelligenzniveaus unterhalb. Menschen eben, über die man sich leicht lustig machen und deren Handlungen man gut infrage stellen kann. Einfach nur um zu merken, dass es doch noch Menschen gibt, die dümmer und charakterlich schwieriger sind als man selbst (no offense). Aber worin die Details dieser Sensationslust liegen, habe ich ja schon in meiner DSDS/GnTm-Anklage ausgekotzt.
Neue Show – neues Glück
Doch bevor ich weiter auf diesen inszenierten Sozialexperimenten herumhacke, möchte ich ein Beispiel anbringen, das auch gut das Gegenteil beweist.
Seit Anfang November strahlt ProSieben täglich im „Spätprogramm“ (ab 22.10) sein neuestes Format aus. Und das verspricht, wie so viele neue Formate: ultra spannende Ereignisse, das nackte Überleben, Kampf mit wilden Tieren und so weiter. Plakativ? Ja. Etwas Neues? Irgendwie nicht, denn sofort erschienen mehrere Formate dieser Art vor meinem inneren Auge. Und merkwürdiger Weise sind darin die meisten nackt…
Kurze Reprise
Es gab einmal dieses „Adam sucht Eva“-Kuppelshow-Experiment, wo Männlein und Weiblein, gemäß der Kleiderordnung im Paradies, nackt auf eine Insel gepackt wurden, um dort wie Gott sie schuf zusammen zu finden. Peinlich und irgendwie etwas verstörend….
Im amerikanischen TV sehr bekannt, bei uns auf DMAX mit dem passenden Titel „Naked Survival“ zu bestaunen, schreibt sich dieses Format eher das Überleben auf die Fahne, als die Suche nach der perfekten TV-Liebe. Nackt sind trotzdem beide…
Und sowieso, wenn man DMAX einschaltet, bekommt man eine ganze Kiste voll Survival-Shows geboten. Der Trend ist also da. Bzw. war er das in Amerika…vor einigen Jahren. Wird also Zeit, dass das deutsche TV nachzieht.
Weiter im Text: Schließlich zählt jeder Tag
Vor drei Tagen bin ich zufällig auf „The Wild Island“ gestoßen und war eher geneigt, weiterzuschalten (vor allem, weil so groß angepriesene Shows meistens eher enttäuschend sind).
Doch „The Wild Island“ macht einiges anders. Hier treffen keine Vorstadt-Proleten mit Krach-Garantie und Zicken-Terror aufeinander. Ganz im Gegenteil, da scheint sich jemand bei den Castings wirklich mal Gedanken gemacht zu haben. Wir haben hier ein Potpourri an Fähigkeiten und Begabungen, scheinbar für jeden Fall einen Experten. Dazu zählen ein Jäger, Tischler, Raum- und Luftfahrtexpertin, Stuntfrau, Theologiepädagoge und Arzt. Doch auch eine Schuhverkäuferin und ein YouTuber können nützliche Dinge vollbringen.
Was ist das Ziel?
Ganz klar: Überleben. Und diese simple Aufgabe fernab von kitschigen Mini-Games oder anderen „Challenges“ reicht auch vollkommen aus. Denn spätestens, wenn es ans Essen besorgen geht, zeigen sich wahre Gefühlsregungen.
Die Kandidaten bauen sich bewusst und unbewusst ein soziales Konstrukt auf, was man klappt und wann anders wieder kurz vorm einstürzen ist. Jeder sucht sich eine Rolle oder wird andernfalls in eine hineingepresst. Und das funktioniert so von selbst, dass sich „Utopia“ mal ne Scheibe abschneiden kann.
Natüüürlich, und das ist nie zu verhindern, gibt es auch sozialen Krach. Das vor allem mit einer Kandidatin, die die Gruppe polarisiert. Und natürlich ist das auch ein Reiz, immer wieder einzuschalten (Skandal, Skandal). Aber anders als bei „Big Brother“ und Co. Sind alle Kandidaten an einem möglichst reibungslosen Ablauf auf der Insel interessiert und wollen Probleme lösen anstatt sie zu schaffen und medial aufzubauschen.
Wie wird eigentlich gefilmt, wenn alle doch abgeschieden von der Außenwelt sind?
Das habe ich mich auch gefragt, bis ich gemerkt habe, dass die Kameramänner Teil des Experiments sind. Und auch so sind alle Kandidaten dazu berechtigt, selbst die Kamera in die Hand zu nehmen. Und das scheint auch ganz gut zu klappen.
Also hier meine Stimme für „The Wild Island“. Denn es schaut sich sehr entspannt und ist zur gleichen Zeit spannend. Und man stellt sich sehr oft selbst die Frage: was würde ich tun?
Nachtrag:
Aufgrund des Verdachts auf Tierquälerei war die Serie im WWW überaus umstritten. Tierschützer protestierten gegen die Ausstrahlung und überhaupt die Ausführung der Tötung an Tieren zur Nahrungsbeschaffung.
Diese Thematik bietet natürlich wie so oft viel Nährboden für hitzige Diskussionen. Ich als Tierliebhaber aber auch bekennender Fleischesser empfand gerade die Tötung des Schweins aber auch des Rochens schon als sehr berührend. Einen kalten Schauer kann man solchen Anblicken nicht unterdrücken.
Aber andererseits muss ich auch sagen, wie ProSieben auch oft betont hat, dass der ausgebildete Jäger Gregor die Tiere mit höchsten Respekt behandelt und mit erfahrenen Handgriffen erlegt hat.
Das Hack und die Hähnchenkeulen, die wir im Kühlregal kaufen, sind auch nicht aus dem Boden gewachsen (Debatte über Masttierhaltung hier bitte hinten angestellt). Allerdings finde ich es auch gerade für Fleischesser wichtig, sich ins Bewusstsein zu rufen, dass eben ein Tier dahinter steckt, was sein Leben opfern (musste), damit wir davon leben können. Für mich (für viele Vegetarier und Veganer sicherlich nicht) ist das der Lauf des Lebens und der Natur.
Es ist ein Privileg für unsere Gesellschaft, immer und zu jeder Zeit Fleisch kaufen und essen zu können. Die Achtung vor diesem Wert kann schnell in der Selbstverständlichkeit untergehen. Das sollte natürlich auf keinen Fall geschehen.
Ich kann die Kritik an der Serie dahingehend nachvollziehen, dass dieses Survival-Szenario künstlich geschaffen wurde und im Normalfall die Inseltiere nicht mit ausgehungerten Bewohnern zu kämpfen hätten. Auch ist die Jagt ein essentieller medialer Teil der Serie, denn natürlich schafft dies zwiegespaltene Gefühle unter den Zuschauern, damit Einschaltquote, was man dem Sender und den Produzenten vorwerfen könnte. Aber ich als Rezipient hatte nie das Gefühl, dass die Tötung oder gar die Qual medial ausgeschlachtet wurden. Es wurde gezeigt, weil es Teil des Lebens auf der Insel war. Nicht mehr und nicht weniger.
Ich hoffe, ich habe mir mit dieser Ansicht keine Feinde gemacht. Die Medien und ihr Umgang mit kontroversen Themen sind ein großes, schwarzes Loch. Umso wichtiger ist es, sich damit auseinander zu setzen und verschiedene Meinungen zu akzeptieren.
Ich würde diese Serie niemals schauen, da dort grundlos Tiere getötet werden und das auf grausame Weise. Und nur damit Menschen zur Unterhaltung so etwas schauen können. Fidne ich schrecklich.
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Danke für deine Meinung zu diesem Thema. Dein Kommentar hat mich dazu inspiriert noch einen Nachtrag zu verfassen.
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